Audiovisueller Stil
Im Sinne der Intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und der empirischen Verankerung, als Gütekriterien qualitativer Forschung, wollen wir auf den folgenden Seiten die strukturale Formalanalyse von Computerspielen vorstellen Im ersten Schritt der Analyse soll die audiovisuelle Analyse des Spiels erfolgen. Hinsichtlich der formalistischen Ausrichtung, welche sich vor allem in den Film Studies entwickelt hat, wollen wir diesen Analyseschritt an das neoformalistische Filmanalysemodell nach Bordwell und Thompson anlehnen, welches auch die Grundlage für die strukturale Filminterpretation bildet und daher auch eine methodologische Anschlussfähigkeit an die strukturale Medienbildung gewährleistet. Mit Hinblick auf ein konstruktivistische Orientierung des Analysemodells ist diese Form der audiovisuellen Analyse sinnvoll, da Bordwell und Thompson im Gegensatz zu poststrukturalistischen Positionen fragen, welche filmsprachlichen Elemente des Films es möglich machen, dass der Betrachter daraus für sich Sinnzusammenhänge bzw. Stories rekonstruieren könne (vgl. Elsaesser/Hagener 2007, 25f). Auf das Computerspiel übertragen hieße die Frage also, welche formsprachlichen Elemente im Spiel machen es möglich, dass der Spieler Sinnzusammenhänge rekonstruieren kann. In diesem Sinne wollen wir kurz das neoformalistische Analysemodell vorstellen und anschließend hinsichtlich des Computerspiels reflektieren und adaptieren.
Das neoformalistische Filmanalysemodell nach Bordwell und Thompson
Die Grundannahme des Filmanalysemodells ist die Trennung zwischen Plot und Story. Der Plot beschreibt hierbei alles Seh- und Hörbare im Film, während Story die Rekonstruktion dieser Elemente beim Rezipienten meint (vgl. Bordwell/Thompson 2008, 76). Durch eine Analyse der filmsprachlichen Elemente, den sogenannten Cues, ist es möglich, zu rekonstruieren, wie die Sinnzusammenhänge zustande kommen. Bordwell und Thompson teilen die filmsprachlichen Elemente entsprechend den Ebenen der Inszenierung in Mise-en-Scène, Kinematographie, Editing und Sound auf.
Alles, was vor der Kamera geschieht, wird unter dem Begriff der Mise-en-Scène (wörtlich übersetzt: in Szene setzen) zusammengefasst. Dazu zählen das Setting, das Acting, Kostüme und die Ausleuchtung der Szene bzw. das Licht (vgl. ebd., 112f).
Die Kinematographie umschreibt dagegen alles, was die Kameraarbeit betrifft. Hierbei sind zum einen Begriffe aus der Fotografie wie Einstellungsgrößen, Bildkomposition, Perspektive, Tiefenschärfe, Belichtung bzw. Farbe und Farbfilter zentral. Zudem ist auch die Rahmung (framing) in den einzelnen Szenen wichtig. Hierzu zählen Begriffe, wie die Kamerabewegung, die Erzählhaltung der Kamera, Seitenverhältnisse oder Kadrierungen (vgl. ebd., 162f).
Durch das Editing bzw. die Montage in Form von Schnitten oder Blenden werden Zusammenhänge zwischen einzelnen Einstellungen und den daraus resultierenden Szenen geschaffen (vgl. ebd., 218f). Das populärste System hierbei ist das continuity editing, bei welchem durch establishment shots und das Schuss-Gegenschuss-Verfahren eine Redundanz in den Bildern hergestellt wird, mit welchen Schnitte in einer Dialogsituation unsichtbar werden (vgl. ebd., 231f). Jedoch sind auch andere Formen wie die „spatial“ oder „temporal discontinuity“ möglich, welche Schnitte sichtbar machen und mit Sehgewohnheiten brechen können (vgl. ebd., 252f).
Als abschließendes Element arbeiten Bordwell und Thompson den Sound heraus, der Töne und Musik im Film umfasst. Der Sound kann im Film bspw. in Form von Offstimmen Orientierung schaffen oder durch das Einfügen von Musikstücken bzw. Geräusche Szenen zusätzlich dramatisieren oder diese rhythmisch machen (vgl. ebd., 264f).
Diese konstruktivistisch gedachte Perspektive auf den Film ist unserer Meinung nach eine brauchbare Grundlage, um die audiovisuellen Elemente von Computerspielen zu analysieren. Zum einen beinhalten viele neuere Spiele Elemente, die an die Inszenierung eines Films erinnern. Basaler betrachtet ist mit Blick auf den audiovisuellen Stil festzustellen, dass jedes Videospiel audiovisuelle Komponenten enthält. Diese müssen nicht cineastisch anmuten, sondern können auch eigene graphische Akzente setzen, wie beispielsweise Spiele mit einer comicartigen Cell-Shading-Optik. Es wird deutlich, dass sich das Filmanalysemodell nur bedingt für Videospiele einsetzen lässt. Die neoformalistische Grundidee jedoch, dass über die Form des Mediums durchaus der Inhalt bestimmt bzw. geformt wird, wollen wir an dieser Stelle als den Grundgedanken unseres Analysemodells festhalten. In diesem Sinne vollen wir auf Michael Nitsche verweisen, der in seiner Monographie Computer Game Spaces (2008) mit Bezug auf den russischen Formalismus und 3D-Computerspielen meint:
"The sjužet is present in 3D video games through the work of the presentation. For current 3D spaces, the presentation of events in the game space mainly happens through audiovisual as well as limited tactile output. The sjužet of Max Payne can structure, for example, flashbacks, replays, or dream interludes.As real-time environments represent the events as they happen in run-time, fabula and sjužet are closely intertwined. Events are created on the level of the fabula and, at the same time, they are presented and interpreted in the sjužet and told back to the player. Sjužet and fabula are tied together on the level of interaction and immediate audiovisual presentation. In this combination, sjužet has the option to position events in the fictional game universe and fabula has the power to realize the event as such. This interpretation of interconnected, yet separate levels of sjužet and fabula allows the investigation into the narrative layers of video game spaces." (Nitsche 2008, 49).
Im Folgenden wollen wir daher die zentralen audiovisuellen Elemente für das Videospiel herausarbeiten und reflektieren.